Samstag, 5. Januar 2008

Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt: Wie wählt Münchens „progressivster“ Stadtbezirk


Der 2. Stadtbezirk, der sich wie eine Banane südlich und süd-westlich um die Altstadt Münchens legt (also vom Isartorplatz bis zum Hauptbahnhof mit seinen Stadtteilen Gärtnerplatzviertel, Glockenbachviertel, Dreimühenviertel, Schlachthof, Klinikviertel, Wiesnviertel und Bahnhofsviertel) hat sich in den letzten Jahren zu dem Stadtbezirk entwickelt, in dem sich vieles rapide ändert, in dem allerlei „Szenen“ ihre Heimat gefunden haben, in dem „die Kreativen“ eingezogen sind. So jedenfalls verkünden es uns wohl nicht ganz falsch die Medien immer wieder.

Stadtbezirk im rapiden Umbruch
Während Schwabing und Maxvorstadt längst vor Biederkeit und Bürgerlichkeit erstarrt sind und das ehemals unruhige und aufregende Haidhausen nun einen ähnlichen Weg geht, steckt der 2. Stadtbezirks und hier speziell die Bezirksteile Gärtnerplatz-, Glockenbach- und Dreimühlenviertel in einem rapiden Umbruch. Dieser zeichnet sich durch den Zuzug vieler meist junger (und auch gut ausgebildeter und solventer) Menschen aus, was Miet- und Kaufpreise von Wohnungen in die Höhe schnellen läßt, durch eine neue, vielfältige Betriebs- und Geschäftsstruktur, die das Straßenbild stark verändert, und durch die Neueröffnung zahlreicher Lokale, die allerlei, auch eigenartiges Ausgehpublikum aus der übrigen Stadt und dem Umland anziehen. Während bis vor etwa 10 Jahren Gärtnerplatz und Glockenbach die bevorzugte Nachbarschaft von Schwulen und Lesben waren und dies immer mehr auch das äußere Erscheinungsbild der Viertel prägte, wird’s nun eng hier, weil auch alle möglichen anderen „Szenen“ sich breit machen, was nicht ohne Konflikte vor sich geht.
Offene Gewalttaten nehmen zu, eine latente Aggressivität vor allem in den Nächten am Wochenenden prägt nun immer öfter die Straßen und Plätze, dank eines neuen (männlichen) Hetero-Ausgehpublikums, das sich ganz deutlich vom traditionellen und mehrheitlich eher gediegenen Homo-Publikum unterscheidet.

Neue und alte Kreative
Im Unterschied zum manch aufdringlichen Wochenendbesuchern von auswärts ist die Wohnbevölkerung immer mehr eher von der Schicht der „neuen Kreativen“ geprägt, also etwa derjenigen, die „irgendwas mit Medien“ machen. Auch wenn diese ihre Tage dann in den Studios und Büros der neuen Kommunikationsindustrien im aufgeräumten Unterföhring und Ismaning verbringen müssen, so kehren sie abends doch scharenweise in ihr Gärtnerplatz- oder Glockenbachviertel zurück, wo sich’s halt einfach besser wohnen lässt. Für die traditionellen Kreativen, also die Künstler und Lebenskünstler bleibt in der Isarvorstadt allerdings immer weniger Raum, sie ziehen weiter nach Sendling und auf die Schwanthalerhöhe, wohin ihnen ganz schnell die neuen Kreativen als Wohnbevölkerung und die Vorstadtjugend als Ausgehpublikum folgen werden. Dann, in einigen Jahren, dürfte es am Gärtnerplatz und Glockenbach wieder ruhiger werden, wobei allerdings der zur Zeit ablaufende Gentrifizierungsschub kaum mehr rückgängig zu machen sein wird (wie es etwa in der Entwicklung Haidhausens anschaulich vorgemacht wurde).

Wie wählen alte und neue Kreative, Homos und Heteros im 2. Stadtbezirk am 2. März 2008, dem Tag der Münchner Kommunalwahlen?
Die letzten Wahlen wiesen Ludwigs- und Isarvorstadt als den Stadtbezirk aus, in dem rot-grün-rosa immer eine mächtige Mehrheit hatte, wobei grün sogar gelegentlich vor rot lag. Dies führte auch zu einer Besonderheit im 2. Stadtbezirk, die es sonst nirgends in München gibt. Als einziges Stadtviertelparlament (dem sog. Bezirksausschuss, siehe http://www.muenchen.info/ba/02/) in München wird der 2. Stadtbezirk von einem Vorsitzenden regiert, der weder SPD noch CSU angehört. Seit den letzten Kommunalwahlen 2002 stellt die schwul-lesbische WählerInnen-Initiative Rosa Liste mit Alexander Miklosy den BA-Vorsitzenden. Gewählt wurde er in diesem Stadtteilgremium von CSU, Grünen und Rosa Liste und siegte damit über den SPD-Kandidaten, und das obwohl die SPD die meisten Sitze im Bezirksausschuss 2 innehat, nämlich 9 (CSU: 7, Grüne: 6, Rosa Liste:3).
Die Prozentergebnisse für die Bezirksausschusswahl erbrachten 2002 für rot-grün-rosa satte 71%, während CSU und FDP gerade mal 29% zusammen bekamen. Interessant ist auch die annähernde Stimmengleichheit von SPD einerseits und Grüne-Rosa Liste andererseits, nämlich 36% zu 35%. Dies bedeutet, dass im 2. Stadtbezirk bei den BA-Wahlen der grün-rosa Block genauso stark ist wie die SPD und dass die CSU gegenüber diesen beiden Gruppen weit abgeschlagen landete.
Hier noch die Einzelergebnisse zu den Bezirksausschusswahlen im 2. Stadtbezirk:
CSU: 26%; SPD: 36%; Grüne 24%, Rosa Liste 11 %; FDP: 3%.
Die Wahl zum Stadtrat brachte ein ähnliches Ergebnis in der Ludwigs-/Isarvorstadt. Hier die Zahlen für den 2. Stadtbezirk (in Klammern jeweils die Gesamtmünchner Ergebnisse): CSU: 24% (36%); SPD: 38% (42%); Grüne 19% (10%); Rosa Liste 8% (2%); FDP 4% (4%); PDS 3% (1%). Auch für die Stadtratswahlen ergab sich also im 2. Stadtbezirk eine rot-rot-grün-rosa Mehrheit von 68%, während diese Konstellation auf gesamtmünchner Ebene nur 55% erreichte. Im 2. Stadtbezirk erreicht also der „rot-grün-alternative Block“ 13% mehr Stimmen als auf Münchner Ebene. Ein ähnliches Ergebnis gab es nur noch in einem weiteren Stadtbezirk, nämlich auf der Schwanthalerhöhe (8. Stadtbezirk).
Bei den OB-Wahlen 2002 erreichte der SPD-Amtsinhaber Christian Ude im 2. Stadtbezirk 72% (in München gesamt: 64,5%), der Kandidat der Grünen, der 3. Bürgermeister Hep Monatzeder 5,6% (Gesamtmünchen: 2,7%). Für beide war dies das höchste Ergebnis in einem Stadtbezirk überhaupt. Die beiden rot-grünen Kandidaten erzielten also in der Ludwigs- und Isarvorstadt zusammen 77,6%, während sie auf gesamtmüchner Ebene „nur“ 67,2% erreichten.
Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2004 erreichte rot-rot-grün im zweiten Stadtbezirk zusammen 60% (SPD: 16,7%; Grüne: 40,6%; PDS: 2,5%), während auf Münchner Ebene die 3 Parteien zusammen nur 43,7% erhielten (SPD: 18,8%; Grüne: 23,3 %; PDS: 1,6%). Während also bei der Europawahl in München die rechten Parteien CSU und FDP einerseits rot-grün andererseits überflügelten, war dies im 2. Stadtbezirk völlig anders: Hier kamen CSU und FDP gerade mal auf 34%. Das sensationellste Ergebnis der Europawahlen, nämlich die Tatsache, dass die Grünen in München die SPD überflügelten, zeigte sich im 2. Stadtbezirk am ausgeprägtesten von allen Münchner Bezirken: In diesem Stadtbezirk waren die Grünen mit 40,6% überhaupt die stärkste Partei (zum Vergleich: CSU 27,7%; SPD 16,7%) und der Abstand zwischen Grünen und SPD betrug hier also sensationelle 24% (während er auf gesamtmünchner Ebene 4,5% betrug).
Der sog. Hochhausentscheid von 2004 sei als letztes betrachtet. Während in gesamt München 51% dem Verbot von Hochhäusern über 100 Meter Höhe zustimmten, waren dies im 2. Stadtbezirk nur 44%. Hier war eine klare Mehrheit von 56% also gegen das Bürgerbegehren, dass der Ex-OB Kronawitter initiierte. Der 2. Stadtbezirk war damit der Bezirk mit der höchsten Stimmenzahl gegen das Verbot von Hochhäusern und unterstütze damit am stärksten die Haltung der rot-grün-rosa Stadtratsmehrheit, die den Bürgerentscheid ablehnte.

Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt: Die rot-grün-rosa Hochburg Münchens
Wie die Analyse der kommunalen Wahlergebnisse der letzten Jahre zeigte, sind Ludwigs- und Isarvorstadt die Stadtteile Münchens, die eindeutig hinter der rot-grünen-rosa Stadtratsmehrheit stehen und diese immer wieder mit großer Mehrheit unterstützen. Ein wesentlicher Faktor dürfte hier die Konzentration der schwul-lesbischen Bevölkerung sein, die für rot-grün ein sehr verlässliches Wählerpotential darstellen. Aber auch die anderen Bevölkerungsgruppen im 2. Stadtbezirk scheinen treue Rot-Grün-Wähler zu sein. Dies ist insofern beachtenswert, da die Sozialstruktur des Bezirks eindeutig eher mittelschichtsgeprägt ist. Alte und neue „Kreative“, selbstbewusste Lesben und Schwule, Reste der alten SPD-Stammwählerschaft (Glockenbach und Schlachthof waren ja vor und nach dem 2. Weltkrieg angestammte Arbeiterviertel), aber auch mehr oder weniger wohlhabende, bildungsbürgerliche Mittelschichtangehörige, die ein buntes Innenstadtviertel den tristen Eigenheimkolonien am Stadtrand oder außerhalb vorziehen, geben wohl diese besondere Mischung ab, die den 2. Stadtbezirk prägen und ihn zum verlässlichen Rückhalt für rot-grün machen. Die Kommunalwahlen am 2. März 2008 werden dies wohl wieder bestätigen.